Über mich
Auch ich bin mit den Winnetou-Büchern und Filmen aufgewachsen und als Kinder haben wir sehr oft "Indianer" gespielt. Die Karnevalszeit habe ich dazu genutzt, um meine Verbundenheit und meine Wertschätzung, die ich gegenüber Native Americans empfand, zum Ausdruck zu bringen.
Ich war Mitte 20, als ich 1989 bei einem Powwow in Stuttgart Native Americans kennenlernte, die mit den US-Streitkräften in Deutschland stationiert waren. Im Laufe der Jahre musste ich mich von meinen romantisch verklärten Vorstellungen verabschieden. Das war ein langer Weg mit vielen Stolpersteinen und Fettnäpfchen. Heute bin ich sehr dankbar für die vielen neuen Erfahrungen, die dadurch möglich wurden. Ohne das Umdenken, ohne diesen Perspektivwechsel wären diese Begegnungen auf Augenhöhe nicht möglich gewesen.
Wenn ich als Kind ein Indianerkostüm getragen haben, dann war ich sehr stolz darauf. Indianer waren für mich Vorbilder und ihre traditionelle Lebensweise eine Alternative zu unserem gesellschaftlichen System. Naturverbundenheit, der Einsatz für Gerechtigkeit und Freiheit, Respekt, Würde und der Glaube daran, dass alles beseelt und miteinander verbunden ist - all dies verband ich mit Indianern. An diese Ideale habe ich geglaubt und niemand konnte mich davon abbringen. Ich habe sie stets verteidigt, meine Vorbilder. Viele Jahre lang war auch Winnetou ein Held meiner Kindheit. Dann erfuhr ich, dass er eine reine Erfindung des deutschen Schriftstellers Karl May war. Ich fing damit an Geschichtsbücher zu lesen. Sie waren ebenfalls nicht von Native Americans verfasst, aber andere Quellen standen uns damals noch nicht zur Verfügung. Ich lernte, dass die Apachen nicht in Pueblos lebten und dass es auf dem Rio Pecos auch keine Kanus gab. Ein Totempfahl gehört an die Nordwestküste und er diente nicht zum Martern von Gefangenen und Native Americans schlagen sich nicht schreiend mit der Hand auf den Mund. Ich war wütend auf Karl May und fühlte mich betrogen.
Inzwischen habe ich mich mit Winnetou wieder versöhnt, aber er gehört gemeinsam mit all den anderen liebgewonnen Fantasievorstellungen in die Kiste mit den Kindheitserinnerungen, die wir besser zulassen, wenn wir Native Americans vorurteilsfrei begegnen wollen. Sogenannte "positive" Stereotypen verhindern, dass ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden kann. Bei mir führten diese idealisierten und romantisch verklärten Vorstellungen zu vielen Missverständnissen, Enttäuschungen und schmerzhaften Erfahrungen. Dies möchte ich unseren Kindern gerne ersparen. Diese, als "positiv" angesehenen Stereotypen, führen außerdem dazu, dass die vielen indigenen Nationen Nordamerikas in Deutschland nahezu unsichtbar sind. Native Americans werden nur als solche erkannt, wenn sie in Regalia (Tracht) gekleidet sind, die zu den Stammesnationen der Prärie gehört. Wenn unsere Kinder die Trachten der Seminolen sehen würden, kämen sie nicht auf die Idee, dass es sich dabei um eine indianische Nation handelt und dass sich diese im Besitz der Marke Hard Rock befindet. Auch die Hard Rock Cafes in Hamburg, Berlin, Köln und München gehören dem Seminole Tribe of Florida.
Diese Internetseiten habe ich in erster Linie für die Kinder erstellt. Ich möchte meine eigenen Erfahrungen mit ihnen teilen und einiges von dem Wissen weitergeben, was mir aus erster Hand vermittelt wurde. Das Internet wird von sehr vielen Native Americans intensiv genutzt und deshalb ist es heute möglich, Antworten auf offene Fragen zu finden, ohne dass diese erneut durch den Filter einer eurozentrischen Sichtweise laufen. Ich sehe mich selbst als Pfeiler einer Brücke. Ich kann auf die verschiedenen Sichtweisen hinweisen, so dass eine Basis für ein besseres gegenseitiges Verständnis möglich wird. Dabei ist es jedoch wichtig, die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Ich habe nicht das Recht, ihnen Yakari und das Pferd Kleiner Donner wegzunehmen. Ich will sie nicht aus ihren fantasievollen Traumwelten reißen, um sie dann rücksichtslos mit der Realität und den geschichtlichen Hintergründen zu konfrontieren, die zu einem erschreckend großen Teil knallhart, grausam und brutal sind. Solange die Yakari-Geschichten weiterhin gezeigt werden, möchte ich die Kinder nicht davon abhalten, auf ihrem gescheckten Traumpferd neben einem Indianerkind über die Prärie zu reiten. Es wäre jedoch wichtig, Serien und Kinofilme, in denen Stereotypen vermittelt werden, nicht mehr zu produzieren und stattdessen (zum Beispiel) die US-Serie "Molly of Denali" in die deutsche Sprache zu übersetzen.
Es ist möglich, seine Helden aus der Kindheit in seinem Herzen zu bewahren und sich trotzdem von den Klischeevorstellungen über indianische Nationen zu verabschieden.
Das Problem besteht jedoch darin, dass es sehr lange dauern kann, bis es einem selbst gelingt, diese stereotypen Bilder endlich loszulassen. Mein offener Blick war viele Jahre lang getrübt und so habe ich in Native Americans etwas gesehen, was im Grunde genommen in dieser Form nur in meiner eigenen Vorstellungswelt existierte. Dies führte zu vielen gegenseitigen Missverständnissen bis hin zur Verletzung von Gefühlen auf beiden Seiten. Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir unseren Kindern nicht noch mehr Klischeevorstellungen vermitteln. Diese sind hier in Deutschland noch immer weit verbreitet und werden durch Serien, wie Yakari weiterhin zementiert. Doch so lange unsere Kinder diesen Einflüssen ausgesetzt sind, sollten wir sie behutsam dort abholen, wo sie stehen.
Carmen Kwasny