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Fremdbezeichnungen und Eigenbezeichnungen
Bei den Diskussionen über das Wort "Indianer" geht es um politische Korrektheit. Ich möchte zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer erklären, was damit gemeint ist. Ihr könnt mir gerne vorab mitteilen, was ihr darunter versteht. Vielleicht habt ihr den Begriff "politische Korrektheit" in der Schule schon genauer definiert.
Das englische Wort für "Indianer" lautet "Indian" und es war ursprünglich eine Fremdbezeichnung. Das heißt, die Eroberer und Einwanderer vom europäischen Kontinent haben fast alle Menschen, die bereits auf dem nordamerikanischen Kontinent lebten, als "Indians" bezeichnet. Sie konnten auch sehr oft die Namen der verschiedenen Stämme nicht aussprechen und deshalb haben sie auch diese einfach so verändert.
Das Wort "Indian" kann zu Verwechslungen führen
Mit dem englischen Wort "Indian" kann sowohl ein Indianer als auch ein Inder gemeint sein. In der deutschen Sprache können wir ganz klar unterscheiden, denn wir benutzen zwei verschiedene Wörter. Wenn es in Texten oder während einer Unterhaltung in englischer Sprache nicht klar ist, ob ein Indianer oder ein Inder gemeint ist, dann wird das Wort "American" davor gestellt. Die Bezeichnung "American Indian" ("Amerikanischer Indianer") ist dann eindeutig.
Native Americans, die das Wort "Indian" benutzen, verzichten in Alltagsgesprächen auf den Zusatz "American", weil ja sowieso klar ist, um wen es geht. Und was tun sie, wenn mitten im Gespräch von einem Inder die Rede ist? Dieser wird dann als "Indian Indian" bezeichnet. Das höre ich immer wieder, wenn ich mit Native Americans telefoniere.
Die ursprüngliche Fremdbezeichnung "Indian" wurde im Laufe der Zeit von vielen Native Americans übernommen. Das "Amt für indianische Angelegenheiten" ("Bureau of Indian Affairs", abgekürzt "BIA") ist eine Regierungsbehörde, die zum US-Innenministerium gehört. Auf den Internetseiten werden unter anderem auch häufig gestellte Fragen beantwortet ("Frequently Asked Questions", abgekürzt "FAQs"). Dort steht eine Erklärung, die ich sehr wichtig finde. Ich habe sie deshalb für euch übersetzt:
Warum werden American Indians und Alaska Natives auch als Native Americans bezeichnet?
Wenn man auf Personen Bezug nimmt, die American Indians oder Alaska Natives sind, ist es noch immer angemessen, die Begriffe "American Indian“ und „Alaska Native“ zu verwenden. ... Sie beziehen sich auch speziell auf Personen, die Anspruch auf Leistungen und Dienstleistungen haben, die vom BIA finanziert oder direkt bereitgestellt werden. ... Der Begriff „Native American“ kam in den 1970er Jahren als Alternative zu „American Indian“ in großem Umfang zur Anwendung.
Eine Regierungsbehörde, die zum US-Innenministerium gehört, bezeichnet also den Begriff "American Indian" als "noch immer angemessen" ("still appropriate"). Als ich diese Erklärung auf der Seite des BIA entdeckt habe, war Deb Haaland die Innenministerin der USA. Sie ist eine Native American vom Pueblo of Laguna.
Im obigen Zitat ist ein Hinweis darauf zu finden, dass es unter anderem auch rechtliche Gründe dafür gibt, warum an dem Begriff "American Indian" festgehalten wird. Es geht um den "Anspruch auf Leistungen und Dienstleistungen", der vertragsrechtlich geregelt ist.
"Indianer" und "Europäer" - Bei beiden Wörtern handelt es sich um eine Sammelbezeichnung
Viele Native Americans teilen mit, zu welcher Stammesnation sie gehören. Wir tun das in Europa auf eine ähnliche Art und Weise. Hier sagen die meisten Menschen auch nicht als Erstes: "Ich bin Europäer." Sie nennen die Nation, zu der sie gehören. Sie sagen, dass sie Deutsche, Franzosen, Italiener, Griechen, Spanier (und so weiter) sind.
Es sieht so aus, als hätten die einzelnen indianischen Völker keinen Sammelbegriff für all die vielen Menschen auf dem amerikanischen Kontinent gehabt. Doch das ist nur eine Vermutung. Im Grunde genommen müssten wir jede einzelne indianische Nation befragen, ob es in ihrer Sprache eine Sammelbezeichnung für alle ursprünglichen Bewohner Amerikas gibt. Allein in den USA gibt es 574 Stammesnationen und indianische Gemeinden (Communities), die von der US-Regierung anerkannt sind. Hinzu kommen dann noch die First Nations (die Ersten Nationen), die in Kanada leben. Dort gilt diese Bezeichnung als politisch korrekt. In Kanada wird zwischen den First Nations, den Inuit und den Métis unterschieden.
Sowohl in den USA als auch in Kanada benutzen immer mehr Indianer die Bezeichnung "indigenous" (auf deutsch: "indigen"). Oft geht dies von der jüngeren Generation aus. Viele fühlen sich weltweit mit anderen Menschen aus indigenen Nationen und Gemeinschaften verbunden. Wird das Wort "indigen" jedoch ohne weitere Erklärungen verwendet, dann ist erst recht nicht klar, wer genau damit gemeint ist. Indigene Völker gibt es auf jedem Kontinent. Ich möchte die Bezeichnung "indigen" mit in unser Wörterbuch aufnehmen und bin noch auf der Suche nach einer guten Erklärung. Falls euch eine einfällt, dann könnt ihr mir eine Nachricht schicken. Vielleicht habt ihr in der Schule schon über diese Themen gesprochen.
Der Bundesstaat Oklahoma in den USA wurde und wird oft als "Indian Country" bezeichnet. Geschichtliches Hintergrundwissen ist wichtig, um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist. (Anmerkung: Der Begriff "Indian Country" wird noch in anderen Zusammenhängen verwendet.) In der Stadt Oklahoma City gibt es das First Americans Museum (FAM), das im September 2021 eröffnet wurde. Auf der Internetseite des Museums steht unter "About Us" (Über uns") folgender Text, den ich für euch übersetzt habe:
Heute sind 39 eigenständige Stammesnationen in Oklahoma ansässig. Wir sind kulturell und sprachlich so unterschiedlich (Anm.: auch im Sinne von "vielfältig") wie die Nationen auf dem europäischen Kontinent.
Auf der Seite wird erklärt, dass sie in der Vergangenheit aus weit entfernten Gebieten vertrieben und nach Oklahoma umgesiedelt wurden. Nur ein Teil der 39 Stammesnationen lebte schon vorher in diesem Gebiet, dass später zu einem weiteren Bundesstaat der USA wurde. Im Text steht noch ein wichtiger Hinweis:
Nach fast 200 Jahren sind unsere Geschichten (Anm.: im Sinne von "geschichtlich") und kulturellen Lebensweisen nun mit dieser Landschaft verwoben.
Im First Americans Museum erhalten die Besucher einen ersten Einblick in die Vielfalt der 39 Stammesnationen, die jetzt in Oklahoma beheimatet sind. Für den Namen des Museums wurde weder die Bezeichnung "American Indians" noch der Begriff "Native Americans" verwendet. Die Besucher können in diesem Museum ihr Wissen über die ersten Amerikaner (First Americans) vergrößern. Auf den Internetseiten werden indianische Künstler nicht als "Native American artists", sondern als "First American artists" bezeichnet. Im Wörterbuch könnt ihr nachlesen, in welchem Zusammenhang das Wort "native" sonst noch verwendet wird . Ich weiß jedoch nicht, ob dies einen Einfluss darauf hatte. dass der Name "First Americans Museum" gewählt wurde. Ich werde versuchen, das zu erfahren. Das Wort "Amerika" stammt ursprünglich auch nicht von den Menschen, die bereits auf diesem Kontinent lebten. Trotzdem wird es als Eigenbezeichnung in Kombination mit anderen Wörtern verwendet. Ursprünglich war es also ebenfalls eine Fremdbezeichnung.
Viele verschiedene Nationen mit unterschiedlichen Sprachen
Meine indianischen Freunde und Bekannten sind zum größten Teil US-amerikanische Staatsbürger und gleichzeitig sind die meisten von Ihnen im jeweiligen Stammesregister der verschiedenen indianischen Nationen eingetragen. Sie gehören zu den Comanche, Kiowa, Apache, Chickasaw, Lakota, Tlingit, Navajo, Choctaw, Northern Cheyenne, Crow, Cree und Chippewa. Das ist vergleichbar mit jemanden, der viele Menschen aus Europa kennt und dann sagt: "Meine europäischen Freunde und Bekannten sind Österreicher, Rumänen, Dänen, Franzosen, Portugiesen, Slowenen, Belgier, Polen ...". Wenn wir von "Indianern" sprechen, wissen viele Menschen hier in Europa leider nicht, dass sich die indianischen Nationen genauso stark voneinander unterscheiden wie die europäischen.
Tipp
Wenn ich mich mit Indianern unterhalte, die ich noch nicht gut kenne, sage ich meistens "Native Americans". Sobald ich weiß, zu welcher Nation jemand gehört, verwende ich den Namen der Nation, es sei denn, wir reden allgemein über Native Americans. Sollte die Person großen Wert darauf legen, dass ich die Bezeichnung in der jeweiligen Stammessprache benutze, dann frage ich, wie diese genau ausgesprochen wird. Das führt oft zu Gelächter auf beiden Seiten. Es gibt Laute, die mein Kiefer und meine Zunge noch nie zuvor geformt haben. Umgedreht ist es aber genauso. Wenn ich es geschafft habe, ein (für mich schwieriges) Wort aus einer der vielen Stammessprachen auszusprechen, bitte ich meine Freunde und Bekannten darum, "Streichholzschächtelchen" zu sagen. Das führt erneut zu viel Gelächter auf beiden Seiten. In der Sprache der Diné schaffe ich es noch nicht einmal, das extrem kurze Wort Łí̜í̜' auszusprechen. Das heißt übersetzt Pferd.