"Indianer" - Unsere Vorstellungen und wie es wirklich ist
Die Basis für eine Begegnung mit Native Americans auf Augenhöhe

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"Positive" Stereotypen - Warum diese Vorstellungen über Native Americans nicht harmlos sind

In Deutschland wird immer wieder betont, dass mit dem Wort "Indianer" viele positive Eigenschaften verbunden werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich dabei oft um Stereotypen handelt, die einem Austausch auf Augenhöhe massiv im Weg stehen. Bei mir führten diese idealisierten und romantisch verklärten Vorstellungen zu Enttäuschungen, schmerzhaften Erfahrungen und gegenseitigen Missverständnissen bis hin zu Verletzungen von Gefühlen auf beiden Seiten. Dies möchte ich unseren Kindern und Jugendlichen gerne ersparen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es sehr lange dauern kann, bis es einem selbst gelingt, diese stereotypen Bilder endlich loszulassen. Mein offener Blick war viele Jahre lang getrübt und so habe ich in Native Americans etwas gesehen, was im Grunde genommen in dieser Form nur in meiner eigenen Vorstellungswelt existierte. Genau deshalb empfinde ich es als sehr wichtig, dass wir unseren Kindern nicht noch mehr Klischeevorstellungen vermitteln. Das kann nur gelingen, wenn wir als Erwachsene ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Stereotypen wir verinnerlicht haben. Es ist sehr hilfreich, wenn wir versuchen, die ganze Situation aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten. Der folgende Abschnitt soll als Impuls dienen.   

Ich werde oft von Erwachsenen angeschrieben, die sich gerne mit Native Americans austauschen möchten. Sie bitten mich um die Vermittlung von Kontakten. In der Regel sind diese Anfragen so allgemein gehalten, dass ich überhaupt nicht weiß, wo ich anfangen soll. Das ist so, als würde mich ein Native American darum bitten, den Kontakt zu einem Europäer herzustellen. So eine Anfrage habe ich noch nie erhalten. In der Regel werden bereits in der ersten Nachricht konkrete Gründe für die Kontaktaufnahme genannt. Es gibt keine Formulierungen im Sinne von: "Seit meiner frühesten Kindheit interessiere ich mich für Europäer und deshalb ist es mein größter Wunsch, endlich einen direkten Kontakt zu einem Europäer zu haben, damit ich mehr über die Kultur erfahren kann." Uns ist allen bewusst, wie sehr sich die Nationen in Europa voneinander unterscheiden. Bei den indianischen Nationen auf dem amerikanischen Kontinent ist dies nicht anders. Stereotype Vorstellungen sind der Grund dafür, warum diese Vielfalt der Stammesnationen, inklusive der großen kulturellen Unterschiede, in Deutschland kaum wahrgenommen wird. Kinder fragen mich oft, ob ich etwas "auf indianisch" sagen kann. Würden sie beim Spielen mit einem Kind, das zum Beispiel aus Griechenland kommt, darum bitten, dass es etwas auf "europäisch" sagt?

Es ist erschreckend, wenn Kinder in Deutschland meine Frage, ob ich eine Indianerin sei, nur deshalb mit einem klaren "Nein" beantworten, weil ich keine Federn im Haar trage und auch nicht in Leder gekleidet bin.

In einer pädagogischen Einrichtung konnten wir beobachten, dass die indianischen Kinder von den anderen nicht mehr erkannt wurden, weil sie sich nach der Kulturveranstaltung umgezogen hatten und in Jeans und T-Shirts beim gemeinsamen Mittagessen mit am Tisch saßen.

Diese Beispiele zeigen deutlich, wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass nicht schon wieder eine Generation mit stereotypen Vorstellungen über Native Americans aufwächst. 

Ich habe in der Vergangenheit viele Kontakte vermittelt und möchte dies auch in Zukunft wieder verstärkt tun. Die Basis dafür wird das neue Netzwerk sein, das sich noch in der Entwicklungsphase befindet. Bevor ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden kann, ist es jedoch wichtig, dass alle daran interessierten Menschen, sowohl hier als auch jenseits des Ozeans, reflektieren, welche Vorstellungen, Prägungen und vorgefassten Meinungen vorhanden sind. Mit diesem Beitrag möchte ich den ersten Schritt machen und mitteilen, was ich inzwischen über mich selbst und meine Beweggründe herausgefunden habe.


Indianer gelten in Deutschland als Vorbilder für den achtsamen Umgang mit Mutter Erde und allen Lebewesen

Als Kind habe ich Indianer immer bewundert und ich weiß, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die dies ebenfalls getan haben. Und sie betonen nach wie vor, wie groß die Wertschätzung ist, die sie Indianern gegenüber empfinden. Dies gilt besonders für meine Generation. Die Vorstellungen, die ich damals hatte, wurden nicht nur durch die Winnetou-Filme geprägt. Es gab viele Schilderungen, in denen die Naturverbundenheit der Indianer besonders hervorgehoben wurde. Das entsprach dem, was ich empfand. "Ich fühlte mich schon immer mit der Natur verbunden" war eine Aussage, die ich früher oft verwendet habe. Als ich dies gegenüber einem Native American äußerte und noch hinzufügte, wie wichtig es sei, die Natur zu schützen, erhielt ich eine Antwort, die mich sehr nachdenklich stimmte:

Ihr betrachtet die Natur so, als würdet ihr von oben aus dem Weltall auf die Erde herabblicken. Doch ihr seid selbst Natur.

Die Sichtweise, dass wir alle "ein Teil der Natur sind" war mir aus Zitaten bekannt, die sich hierzulande unter dem Titel "indianische Weisheiten" einer großen Beliebtheit erfreuen. Doch die Art und Weise, wie es mein Gesprächspartner formulierte, löste bei mir einen Umdenkungsprozess aus. Mir wurde bewusst, dass wir täglich Begriffe verwenden, die genau diese Denkweise widerspiegeln, die im obigen Zitat mit kurzen Sätzen so anschaulich beschrieben wird. Welche Bilder kommen uns als erstes in den Sinn, wenn wir das Wort "Naturschutz" hören? Sehen wir dann sofort Menschen, Pflanzen und Tiere als Einheit? Oder haben wir doch eher das Bild einer "natürlichen Umgebung" ohne Menschen vor Augen? Oder erscheint sofort die Abbildung eines Tieres, dass auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten steht? Wir sehen uns in der Regel als Menschen, die in einer Umwelt leben und wir haben erkannt, dass wir diese schützen müssen. Seit diesem Gespräch stolpere ich ständig über das Wort "Umweltschutz". Im Grunde genommen gibt es keine Trennung zwischen uns und der Welt um uns herum. Wir atmen Kohlenstoffdioxid aus, das dann von den Pflanzen aufgenommen wird und wir atmen den Sauerstoff ein, den die Pflanzen produzieren, um nur ein Beispiel zu nennen.

Bevor ich mit den weiter oben zitierten Worten meines indianischen Gesprächspartners ungewollt erneut Klischeevorstellungen bestätige, möchte ich auf etwas hinweisen. Wenn Native Americans die unterschiedlichen Sichtweisen hervorheben, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass sie im Alltag konsequent danach handeln. Doch genau dieser Eindruck ist hier in Deutschland entstanden und durch die Verwendung des Begriffs "Naturvölker" wurde er noch weiter verstärkt. Viele Jahre lang hatte ich ebenfalls die Vorstellung, dass Indianer schon immer einen achtsamen Umgang mit der Mutter Erde und allen Lebewesen gepflegt haben und dass sie dies im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch heute noch tun. Diese Überzeugung geriet ins Wanken, als ich von Native Americans in Deutschland zum ersten Mal zu einer Feier eingeladen wurde. Ich aß mit einer Plastikgabel ein traditionelles Gericht aus blauem Mais, das mir in einer kleinen Einwegschüssel gereicht wurde. Die Familie war hier stationiert und musste zurück in die USA. Es war ihre Abschiedsfete. Fast der gesamte Hausrat befand sich bereits im Überseecontainer und so dachte ich, das wäre der Grund für die Verwendung von Wegwerfgeschirr. Als ich später eine andere Familie besuchte, aßen wir bei McDonald's. Damals war der Konzern von einem Verzicht auf Schaumstoffverpackungen noch meilenweit entfernt und deshalb machte ich in der Regel einen großen Bogen um Fast-Food-Restaurants. Mit Sorge betrachtete ich nach dem Essen den Müllstapel. Im Laufe der Jahre gelang es mir immer weniger, meine Augen davor zu verschließen, dass ein möglichst sparsamer Umgang mit Ressourcen im Alltag meiner indianischen Bekannten (mit wenigen Ausnahmen) keine große Rolle spielte. Soweit es Recycling betrifft, kann ich mich vage daran erinnern, dass Aludosen zum Teil getrennt gesammelt wurden. Alles andere landete im Müll. In einem Haushalt standen im Sommer die Fenster weit offen, während die Heizung lief. Dies sind nur einige Beispiele.

Meine romantisierten Vorstellungen standen in einem großen Gegensatz zu den Erfahrungen, die ich machte, als ich immer mehr Zeit gemeinsam mit Native Americans verbrachte. Zu Beginn habe ich ihnen so viel darüber erzählt, wie wichtig mir der Schutz der Tiere und Pflanzen ist, dass mich einige schmunzelnd "Mother Earth" ("Mutter Erde") nannten. Ich war erfreut und zugleich verwirrt. Den Grund für diese gemischten Gefühle habe ich erst wesentlich später erkannt. Ich konnte damals spüren, dass sie mich neckten, ohne dass mir dies voll bewusst war. Zu jener Zeit war ich noch nicht mit dem vertraut, was unter Native Americans als "Teasing" bezeichnet wird. Einfach ausgedrückt, ist es eine liebevolle Form der Neckerei, die zwischendurch jedoch auch dazu verwendet wird, um auf etwas hinzuweisen.

Meine Schilderungen könnten den Eindruck erwecken, dass nichts von all dem wahr ist, was ich glaubte zu wissen. Doch Pauschalaussagen anhand von einigen Erfahrungen treffen zu wollen, ist grundsätzlich problematisch. Viele Stammesnationen und Communities haben Projekte zum Schutz der Tiere und Pflanzen und pflegen einen schonenden Umgang mit Ressourcen. Auch Recycling spielt eine immer größer werdende Rolle. Nachhaltigkeit gehört mit zu den traditionell verankerten Werten. Die Frage ist, was sich alles unter den gegebenen Bedingungen umsetzen lässt? So betrachtet stehen Native Americans vor ähnlichen Herausforderungen wie wir. 


"In Deutschland werden wir behandelt wie Rockstars"

Ich reflektiere immer wieder, wie ich mich in der Vergangenheit verhalten habe und warum. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich Native Americans gegenüber mein Verbundenheitsgefühl und meine Solidarität zum Ausdruck bringen wollte. Es war mir immer wichtig, von ihnen akzeptiert zu werden und ich wollte auf gar keinen Fall in der Schublade mit dem Etikett "typisch weiß" landen. Während meiner Tätigkeit als Dolmetscherin habe ich die Erfahrung gemacht, dass es vielen Menschen in Deutschland so geht. Wenn ich darum gebeten wurde, bei der Übersetzung in die englische Sprache behilflich zu sein, dann konnte ich häufig eine Mischung aus Bewunderung und Verunsicherung spüren. Es ist oft vorgekommen, dass grundlegende Englischkenntnisse vorhanden waren, aber die Aufregung und die Befürchtung, evtl. etwas "Falsches zu sagen", führten zu der Bitte um Übersetzung. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, weil ich mich während der ersten Begegnungen ähnlich gefühlt habe. 

In all den vielen Jahren war ich so sehr damit beschäftigt, einen möglichst positiven Eindruck bei Native Americans zu hinterlassen, dass ich vor lauter Verunsicherung viel zu wenig wahrgenommen habe. Und so ist mir entgangen, dass Native Americans bei zwischenmenschlichen Begegnungen vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie wir. Für die meisten ist Deutschland ein fremdes Land und auch Native Americans sind bei weitem nicht frei von stereotypen Vorstellungen. Während der Gespräche, die wir im Rahmen der Vorbereitungen für Deutschlandreisen geführt haben, ist mir bewusst geworden, dass sich Native Americans oft Gedanken darüber machen, was sie hier erwartet. Etliche haben folgende Aussage gehört: "Als Native wirst du in Deutschland wie ein Rockstar behandelt." Wer eher introvertiert ist, könnte diese Form der Aufmerksamkeit als belastend empfinden. Andere sehen darin einen Vorteil, der sich für geschäftliche Interessen nutzen lässt. Dabei besteht durchaus die Gefahr, dass die Gefühle derjenigen verletzt werden, die Native Americans unterstützen möchten, um damit ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Oft spielt auch die weit verbreitete Vorstellung eine Rolle, dass grundsätzlich in allen Reservaten große Armut herrscht. Diese Pauschalaussage ist nicht zutreffend. Es gibt sehr große Unterschiede. Doch leider wird durch deutsche Medien immer wieder das gleiche düstere Bild gezeichnet. Es gibt Regionen, in denen die Menschen Unterstützung benötigen, aber die Art und Weise, wie darauf hingewiesen wird, empfinde ich oft als übergriffig und respektlos. Eine Lakota hat mir gegenüber mit sehr deutlichen Worten zum Ausdruck gebracht, wie leid sie es ist, dass ihre Leute so dargestellt werden. Schüler in Pine Ridge haben schon vor Jahren ein Video zu diesem Thema produziert. Es trägt den Titel "We are more than that" ("Wir sind mehr als das"). 

Die Marke Hard Rock befindet sich im Besitz der Seminolen

Die Stereotypen, die als "positiv" bezeichnet werden, führen dazu, dass die sehr erfolgreichen Geschäftsmodelle indianischer Nationen in Deutschland kaum bekannt sind. Und wenn doch kurz darüber berichtet wird, dann beinhalten die Beiträge oft kritische Anmerkungen. Beim Thema "Casinos auf Stammesland" kommen von deutscher Seite aus immer wieder Reaktionen, die deutlich erkennen lassen, dass sie diese Geldeinnahmequelle grundsätzlich ablehnen. Native Americans wird unterstellt, sie würden mit ihren Traditionen brechen und hätten sich inzwischen komplett an "die Lebensweise des weißen Mannes" angepasst. Ich muss zugeben, dass ich über einen längeren Zeitraum hinweg ebenfalls nichts mit Casinos zu tun haben wollte. Geändert habe ich meine Meinung, nachdem ich in Gesprächen erfahren habe, dass zum Beispiel ein Abendessen für die Ältesten (Elders) im Stammescasino angeboten wurde. Es ist möglich, alte Traditionen zu pflegen und trotzdem geschäftlich erfolgreich zu sein. Warum wird Native Americans dies abgesprochen? Ich denke, die stereotypen Vorstellungen, dass Indianer stets im Einklang mit der Natur leben und dass jeglicher Fortschritt von traditionsbewussten Natives grundsätzlich abgelehnt wird, haben sehr viel damit zu tun.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Native Americans von Kindern in Deutschland erst dann als solche erkannt werden, wenn sie traditionelle Kleidung tragen, die zu den Stammesnationen gehören, die früher den Bisonherden gefolgt sind.  Wenn unsere Kinder die Trachten der Seminolen sehen würden, kämen sie nicht auf die Idee, dass es sich dabei um eine indianische Nation handelt und dass sich diese  schon seit vielen Jahren im Besitz der Marke Hard Rock befindet. Auch die Hard Rock Cafes in Hamburg, Berlin, Köln und München gehören dem Seminole Tribe of Florida.

Ich habe in diesem Beitrag noch längst nicht alle stereotypen Vorstellungen angesprochen, die hier in Deutschland als "positiv" bezeichnet werden. Innerhalb der Szene, in der sich die Menschen mit Esoterik und New Age beschäftigen, werden oft falsche Informationen verbreitet. Nicht nur selbsternannte "Medizinmänner" oder "Medizinfrauen", die keine indianischen Vorfahren haben, verdienen damit Geld, auch etliche Native Americans haben diese Szene als einen Markt für sich entdeckt. Wir haben uns schon immer an das Motto "Don`t pay to pray" ("Bezahle nicht, um zu beten") gehalten. Ich möchte in Zukunft noch mehr darüber aufklären.