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Kindheitserinnerungen - Indianer waren unsere Vorbilder
Wenn ich als Kind ein "Indianer"-Kostüm getragen habe, dann war ich sehr stolz darauf. Indianer waren für mich Vorbilder und ihre traditionelle Lebensweise eine Alternative zu unserem gesellschaftlichen System. Naturverbundenheit, der Einsatz für Gerechtigkeit und Freiheit, Respekt, Würde und der Glaube daran, dass alles beseelt und miteinander verbunden ist - all dies verband ich mit Indianern. An diese Ideale habe ich geglaubt und niemand konnte mich davon abbringen. Ich habe sie stets verteidigt, meine Vorbilder.
Viele Jahre lang war auch Winnetou ein Held meiner Kindheit. Nachdem ich dann erfahren hatte, dass der deutsche Autor Karl May viele Behauptungen aufgestellt hat, die nicht den Tatsachen entsprachen, fing ich damit an Sach- und Geschichtsbücher zu lesen. Sie waren ebenfalls nicht von Native Americans verfasst, aber andere Quellen standen uns damals noch nicht zur Verfügung. Ich lernte, dass die Apachen nicht in Pueblos lebten und dass es auf dem Rio Pecos auch keine Kanus gab. Diese wurden und werden in einer ganz anderen Region verwendet.
Ein Totempfahl gehört an die Nordwestküste und er diente nicht zum Martern von Gefangenen und Native Americans schlagen sich nicht schreiend mit der Hand auf den Mund. Ich war wütend auf Karl May und fühlte mich betrogen. Inzwischen habe ich mich mit Winnetou wieder versöhnt, aber er gehört gemeinsam mit all den anderen liebgewonnen Fantasievorstellungen in die Kiste mit den Kindheitserinnerungen, die wir besser zulassen, wenn wir Native Americans vorurteilsfrei begegnen wollen.
Bei unseren Spielen waren die Indianer immer die Guten
Als Kind habe ich die meiste Zeit mit meinen Freunden "Indianer" gespielt. In unseren Spielen kamen auch Cowboys vor, aber sehr oft ging es um Konflikte zwischen den Siedlern und den Indianern. Und ständig bestand die Gefahr, dass die weißen Soldaten, die wir immer als "Blauröcke" bezeichneten, ein Tipi-Dorf überfallen würden. Wir waren stets auf der Suche nach friedlichen Lösungen, doch es gab auf allen Seiten immer wieder hasserfüllte Menschen, die den Frieden störten. Ähnlich wie in den Winnetou-Filmen war es uns immer wichtig, dass am Ende die Gerechtigkeit siegte. Doch die Habgier der "bösen Weißen" kannte keine Grenzen und die Indianer wurden immer weiter vertrieben und kämpften die meiste Zeit ums Überleben. In unseren Spielen gab es fast immer Siedler, die den Beschluss fassten, bei Indianern zu leben.
Ich habe mich mit einem indianischen Freund über Kindheitserinnerungen ausgetauscht. Neben "Ritter" oder "Römer" haben sie auch "Cowboys und Indianer" gespielt, aber es gab dabei einen sehr großen Unterschied zu unseren Spielen. Es ist erschreckend, was ich erfahren habe:
Alle wollten die Cowboys spielen, aber keiner von uns wollte ein Indianer sein, denn diese waren immer die Verlierer.
Jedes Mal, wenn ich daran denke, steigen mir die Tränen in die Augen.
Wir wurden alle durch Westernfilme geprägt
Bis ich mich direkt mit Native Americans austauschen konnte, war mir vieles nicht bewusst. Ganz offensichtlich haben wir die gleichen Westernfilme gesehen, aber wir haben diese völlig anders wahrgenommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich selbst dann auf der Seite der Indianer war, wenn diese (z.B. in einem John Wayne Film) als grausam und blutrünstig dargestellt wurden. Ich hockte mit meinem Plastik-Gewehr hinter dem großen Sessel im Wohnzimmer und "bot den Indianern Deckung". Als Kind war dies für mich eine ganz klare Angelegenheit: Es war das Land der Indianer und die "bösen Weißen" hatten kein Recht, darauf, es ihnen wegzunehmen.
Ich wäre nie von allein auf den Gedanken gekommen, dass indianische Kinder fast zeitgleich in den USA vor den Bildschirmen saßen und sich als Verlierer sahen. Sie hatten keine Winnetou-Filme, in denen der weiße Mann Old Shatterhand Seite an Seite mit seinem Blutsbruder Winnetou für Gerechtigkeit kämpft. Empfinde ich deshalb die Winnetou-Filme als empfehlenswert? Nein, denn sie enthalten viele stereotype Vorstellungen bis hin zu völlig falschen Behauptungen. Ich möchte mit diesen Zeilen darauf hinweisen, dass die Winnetou-Bücher und Filme einen großen Einfluss darauf hatten, wie Indianer hier in Deutschland von vielen gesehen werden.
Im Zeitalter des Internets haben wir jetzt die Möglichkeit, Wissen aus erster Hand zu erhalten. Native Americans stellen immer mehr Informationen ins World Wide Web und erzählen ihre eigenen Geschichten aus ihrer Sichtweise. Und was geschieht jetzt mit unseren Kindheitserinnerungen? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es möglich ist, seine Helden aus der Kindheit in seinem Herzen zu bewahren und sich trotzdem von den Klischeevorstellungen über indianische Nationen zu verabschieden.