"Indianer" - Unsere Vorstellungen und wie es wirklich ist
Die Basis für eine Begegnung mit Native Americans auf Augenhöhe

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Was bringt uns der Verzicht auf das Wort "Indianer", wenn die Inhalte von "Indianerprojekten" und "Indianerfreizeiten" nicht verändert werden?


Zu Beginn der ganzen Diskussion hatten wir die Hoffnung, dass nun endlich ein Umdenken stattfinden könnte, denn mit dem Wort "Indianer" sind in der Regel stereotype Vorstellungen verbunden, die hierzulande meistens als "positiv" bezeichnet werden. Sie führen jedoch dazu, dass eine Begegnung mit Native Americans auf Augenhöhe nahezu unmöglich gemacht wird. Während einer Internetrecherche habe ich festgestellt, dass Projekte und Freizeiten einfach nur neue Namen erhielten. Das Wort "Indianer" wurde z.B. durch die Bezeichnung "indigene Völker Nordamerikas" ersetzt.


An den Inhalten hat sich jedoch nichts geändert. Stereotype Vorstellungen werden dadurch erneut an die nächste Generation weitergegeben. Die Titel, die früher verwendet wurden, um Veranstaltungen oder Projekte anzukündigen, sind im Grunde genommen missverständlich. Der jahrzehntelange Gebrauch führte jedoch dazu, dass diese Formulierungen in der Regel nicht in Frage gestellt wurden.

Indianerfest - Indianergeburtstag - Indianercamp - Indianerprojekt - Indianerfreizeit

Und auch für die gemeinsamen Aktivitäten und Angebote wurde stets das Wort "Indianer" verwendet:

Kinder und oft auch die Erwachsenen trugen "Indianerkostüme".

Sie sangen "Indianerlieder" und präsentierten bei Festen "Indianertänze".

Ein beliebtes Bastelangebot war die Herstellung von "Indianerschmuck". 

Es wurden "Indianernamen" vergeben.

Und zum Essen gab es "Indianerwürstchen".


Ein Wechsel der Perspektive kann zu einem tieferen Verständnis führen


Wenn ich früher Poster und Flyer für die Vorankündigung unserer Powwows entworfen habe, dann stand fast immer die zusätzliche Erklärung "indianisches Tanzfest" im Untertitel. Die Bezeichnung "Powwow" war damals noch nicht weit verbreitet. Das ist heute anders, doch das Wort wird jetzt auch in völlig anderen Zusammenhängen verwendet, was ebenfalls zu Missverständnissen führen kann. Wenn wir einfach nur "Indianerfest" ohne das Wort "Powwow" geschrieben hätten, dann wäre kaum jemandem klar gewesen, dass es sich dabei um ein Fest von und mit Native Americans handelt. Ich habe mal mit einer Mitarbeiterin telefoniert, nachdem ihre Institution eine Veranstaltung mit indianischen Tänzen angekündigt hatte. Ich wollte wissen, ob Native Americans vor Ort sein würden. Sie hat meine Frage nicht verstanden. Sie sagte mehrmals, es seien "Indianer". Ihr wurde erst klar, was ich erfahren wollte, als ich fragte, ob die Tänzer aus den USA angereist wären. Sie verneinte dies und ich konnte an ihrem Tonfall erkennen, wie erstaunt sie über diese Frage war.

Native Americans (Indianer) feiern Feste und Kindergeburtstage, veranstalten Sommercamps, bieten Projekte für Kinder und Jugendliche an und organisieren Freizeiten. Die verschiedenen Stammesnationen und indianischen Gemeinden haben jeweils ihre eigenen Lieder und Tänze. Die Trachten werden als "Regalia" bezeichnet und viele Native Americans betonen, dass diese keine Kostüme sind. Das, was wir einfach nur als "Verzierungen" oder "Schmuck" bezeichnen würden, hat in der Regel eine tiefere, oft auch spirituelle Bedeutung. Darüber hinaus wird Schmuck von indianischen Künstlern hergestellt und verkauft. In den USA ist es illegal, etwas als indianische Kunst oder Kunsthandwerk zu verkaufen, dass nicht von Native Americans hergestellt wurde (Indian Arts and Crafts Act of 1990). Anhand von diesem Beispiel wird deutlich, wie groß die Unterschiede sind. In den USA hat sich sehr viel verändert und wir hinken hier in Deutschland mehrere Jahrzehnte hinterher. Was hierzulande oft noch gang und gäbe ist, führt in den USA inzwischen zu weitreichenden Konsequenzen. So wurde im Oktober 2021 eine Highschool-Lehrerin beurlaubt, nachdem sie "Luft-Tomahawks schwenkend, herumgetanzt, gelacht und gesungen hatte" (Zitat, Berichterstattung der US-Medien). Sie trug dabei einen nachgemachten Kopfschmuck aus Pappfedern.

Bedeutet dies, dass Kinder in Deutschland im Rahmen von Projekten und Veranstaltungen gar keinen Schmuck mehr herstellen sollten? - Nein. Es gibt gute Alternativen zu den gängigen Bastelangeboten und es ist durchaus möglich, Gegenstände herzustellen, ohne dass es zur kulturellen Aneignung kommt. Im Login-Bereich gibt es bereits einige Anleitungen mit verlinkten Videos. Für die Kinder- und Schülerseiten erstelle ich noch weitere Grafiken, wie z.B. diesen Perlen-Webrahmen. 
 


Der Vorfall, der sich an einer Highschool in den USA ereignet hat, ist deshalb bekannt geworden, weil es in der Klasse einen indianischen Schüler gab, der über diese dargestellte Szene entsetzt war. In Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, dass Native Americans eine pädagogische Einrichtung besuchen, bei weitem nicht so groß wie in den USA oder Kanada, aber ganz ausgeschlossen ist es nicht. Stereotype Darstellungen wirken sich massiv schädigend auf das Selbstwertgefühl von indianischen Kindern und Jugendlichen aus. In den USA gibt es Studien darüber. Es ist in der Vergangenheit auch immer wieder vorgekommen, dass indianische Gäste aus den USA und Kanada mit stereotypen Vorstellungen konfrontiert wurden. Dadurch sind Situationen entstanden, die nicht nur peinlich waren, sondern darüber hinaus auch zu Spannungen führten. Es kann dann sein, dass Native Americans geschlossen den Ort verlassen.

Selbst wenn von Anfang an klar ist, dass eine Veranstaltung oder ein Projekt ohne Native Americans stattfinden wird, kann es eine große Hilfe sein, sich vorzustellen, es wäre eine gemeinsame Aktion. Eine Reflektion darüber, ob das geplante Konzept die Zustimmung von Native Americans erhalten würde, führt in der Regel zur Streichung etlicher Programmpunkte, die früher gang und gäbe waren. Es ist mittlerweile eher unwahrscheinlich, dass beim Sommerfest in einem Kindergarten dann eine Präsentation des folgenden Liedes stattfinden würde:

"Indianer heißen wir, ahu, ahu, ahu! Aus fernen Landen kommen wir, ahu, ahu, ahu! Wir zeigen euch mit Schild und Lanz' den wilden Indianertanz, ahu ...  "

In der Vergangenheit ist es vorgekommen, dass vor den indianischen Gästen ein Tanz in Faschingskostümen um einen kitschig bunten Pfahl herum mit Tomahawks in den Händen gezeigt wurde. Immerhin haben die Diskussionen über das Wort "Indianer" und über kulturelle Aneignung dazu geführt, dass solche Darstellungen seltener werden. Im Großen und Ganzen sind wir hier in Deutschland jedoch noch immer meilenweit davon entfernt, Native Americans auf Augenhöhe begegnen zu können.   

Eine Verbannung des Wortes "Indianer" ist also keine Lösung für die wesentlich größeren Probleme, die durch die stereotypen Vorstellungen entstehen. Von der US-Regierung anerkannte indianische Stämme haben den Status von eigenstaatlichen Nationen innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika. Viele Menschen in Deutschland sind sich dessen nicht bewusst. Stammesnationen werden nach wie vor nicht so gesehen wie europäische Nationen. Während hierzulande "Yakari" auf seinem Pferd "Kleiner Donner" über den Fernsehbildschirm reitet, befinden sich die Seminolen (Seminole Tribe of Florida) im Besitz der Marke Hard Rock, inklusive der Cafés in Deutschland.