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"Indianer" - Das "böse I-Wort"?
Eine neue Form der Sprachlosigkeit, durch die ein großer Schaden entsteht
Wenn wir pädagogische Einrichtungen besucht haben, dann ging es schon immer darum, Kinder dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Sie konnten mit dem Begriff "Native Americans" noch nichts anfangen. Ich verwendete die Wörter "Indianer" und "indianisch", Das habe ich auch dann getan, wenn ich für indianische Gäste als Dolmetscherin tätig war. Es ist während dieser ganzen Zeit noch kein einziges Mal vorgekommen, dass sich ein Native American darüber beschwert hätte. Ich wies immer wieder darauf hin, dass es viele Indianer vorziehen, als "Native Americans" bezeichnet zu werden. Für Kinder, die noch keinen Englischunterricht hatten, waren diese zwei Wörter nicht einprägsam.
Ich erhalte oft E-Mails von Pädagogen und Eltern, die verunsichert sind, weil sie nicht mehr wissen, welche Bezeichnungen sie verwenden sollten und so habe ich schließlich erfahren, was in vielen deutschen Kindergärten, Tagesstätten und Schulen geschieht: Von Kindern wird gefordert, dass sie nicht mehr das Wort "Indianer" verwenden. Es wird als das "böse I-Wort" bezeichnet. Mir wurde mitgeteilt, dass dies inzwischen zu gravierenden Folgen geführt hat:
Seit in pädagogischen Einrichtungen auf das Wort "Indianer" verzichtet wird und seit stattdessen die neue Bezeichnung "das böse I-Wort" eingeführt wurde, schwindet das Interesse der Kinder. Dadurch, dass sie sich nicht mehr unbefangen über Indianer unterhalten können, geraten diese immer mehr aus ihrem Fokus.
Diese Entwicklung ist schockierend und sie steht unserer Bildungsarbeit, bei der es schon immer um Aufklärung ging, massiv im Weg. Die Bezeichnung "Indianer" wurde zu einem abwertenden und rassistischen Begriff erklärt. Dabei wird in erster Linie diese Begründung als Hauptargument verwendet:
Das Wort "Indianer" ist eine Fremdbezeichnung, die aus der Kolonialzeit stammt und deshalb wird sie von Native Americans abgelehnt.
Auf den ersten Blick betrachtet, erscheint das logisch. Doch welche Fakten sind die Grundlage für diese Entscheidung? Wer hat Pädagogen dazu aufgefordert, Kindern und Jugendlichen die Benutzung des Wortes "Indianer" zu verbieten? Zitat von einem Kind: "Das dürfen wir nicht mehr sagen." Organisationen in Deutschland, die seit Jahrzehnten mit Native Americans zusammenarbeiten, wurden nicht um eine Einschätzung gebeten. Sie haben öffentlich erklärt, dass sie diese Entscheidung nicht nachvollziehen können. Und dafür gibt es gute Gründe.
Das Wort "Indian" war ursprünglich eine Fremdbezeichnung. Jedoch wird es nach wie vor auch als Eigenbezeichnung verwendet.
In den USA gilt die Bezeichnung "Native Americans" schon seit Jahrzehnten als politisch korrekt. Parallel dazu wird jedoch nach wie vor der Begriff "Indians" verwendet. Es heißt noch immer "American Indian Education". Und auch die (im Jahr 1944 gegründete) Organisation "National Congress of American Indians (NCAI)" hat ihren Namen unverändert beibehalten. Der US-Bundesstaat Oklahoma wird von vielen Native Americans als "Indian Country" bezeichnet und auch daran hat sich nichts geändert. Ganz im Gegenteil, der Satz "Oklahoma is Indian Country" war vor nicht allzu langer Zeit in sehr vielen US-amerikanischen Medien zu lesen. Ich möchte ein anderes Mal näher erklären, wie sich all dies entwickelt hat.
In den USA und Alaska gibt es 574 von der US-Regierung anerkannte (federally recognized) Tribal Nations (Stammesnationen), Villages, Communities, Bands und Rancherias. Ich habe mir ein Verzeichnis angesehen, in dem sie alle aufgelistet sind. Bei sehr vielen ist das Wort "Indian" ein Bestandteil ihres Namens. Allein unter den Buchstaben A, B und C sind es 35. Ein Link zur Liste ist auf der Internetseite des BIA (Bureau of Indian Affairs - Amt für indianische Angelegenheiten) unter "Federally Recognized Tribes" zu finden. Hier sind ein paar Beispiele:
Sehr viele Native Americans identifizieren sich mit ihrer Stammesnation und ihrer indianischen Community und dazu gehört auch der Name. Die ältere Generation ist mit dem Begriff "Indians" aufgewachsen und viele benutzen das Wort nach wie vor im Alltag und dies geschieht auch in Gesprächen mit den Jüngeren. Es gibt keine Einigkeit unter Native Americans darüber, welche Sammelbezeichnung angemessen wäre. Wie denn auch bei 574 Stammesnationen, Villages, Communties, Bands und Rancherias?
Vor diesem Hintergrund betrachtet, empfinde ich es als sehr problematisch, wenn jetzt auf einmal vom "bösen I-Wort" die Rede ist. Und wie bereits weiter oben erwähnt, wissen wir bis zum heutigen Tag nicht, wer beschlossen hat, dass unsere Kinder hier in Deutschland das Wort "Indianer" nicht mehr benutzen sollen. Es ist die deutsche Übersetzung des Wortes "Indian" und im Gegensatz zum Englischen, wird deutlich zwischen einem "Indianer" und einem "Inder" unterschieden.
Ein gutes Argument für einen Verzicht auf die Bezeichnung "Indianer" ist die Tatsache, dass damit sehr oft Klischeevorstellungen verbunden sind. Doch zur Zeit werden einfach nur die Begriffe ausgetauscht und die stereotypen Vorstellungen bleiben. Schlimmer noch: In pädagogischen Einrichtungen und Bibliotheken wurden Bücher aus den Regalen geräumt, weil sie das Wort "Indianer" enthalten. Es sieht nicht so aus, als hätte eine intensive Prüfung der Inhalte stattgefunden. Dadurch stehen unseren Kindern jetzt noch weniger Informationen zur Verfügung.
Wir haben diese Bücher schon immer kritisiert, weil sie sehr viele Verallgemeinerungen enthalten. Sie wurden nicht von Native Americans verfasst und die andere Sichtweise ist deutlich erkennbar. Aber immerhin bekamen die Kinder einen ersten Eindruck von der Vielfalt indigener Nationen. Ich bin oft gemeinsam mit Pädagogen diese Bücher durchgegangen und wir haben dann den Kindern erklärt, was nicht richtig dargestellt wurde.
Veränderungen brauchen Zeit und ich finde, die sollten wir uns nehmen. Native Americans stellen immer mehr Informationen ins Internet. Sie erzählen ihre Geschichten jetzt selbst. Es geht darum, dieses Wissen ins Deutsche zu übersetzen, so dass unsere Kinder die Worte und den Sinn verstehen können. Die meisten Kinder in Deutschland sind nicht mit Begriffen wie z.B. "Native Americans" (USA), "First Nations" (politisch korrekt in Kanada) oder "indigene Völker Nordamerikas" vertraut. Es wird eine Zeit lang dauern, bis sie diese gelernt haben. Verbotsforderungen sind kontraproduktiv und führen nur dazu, dass die Kluft zwischen den Menschen noch größer wird.