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Das Miteinander und die Herausforderungen
Ich habe im Laufe der Jahre viele Veranstaltungen für Native Americans organisiert, die aus den USA oder Kanada angereist waren, um einen Teil ihres reichen kulturellen Erbes mit uns zu teilen. Parallel zum Veranstaltungsmanagement war ich als Dolmetscherin und Moderatorin tätig. Ich konnte dadurch Erfahrungen sammeln, für die ich sehr dankbar bin. Viele Veranstaltungen fanden in pädagogischen Einrichtungen statt und oft waren die Kinder so sehr von den ganzen Eindrücken überwältigt, dass sie zu Beginn sprachlos vor den indianischen Gästen saßen. Mit Hilfe von Fantasiereisen ist es mir gelungen, das Eis zu brechen. (Eine Anleitung gibt es in Zukunft im Login-Bereich.) Wir haben nicht nur vieles gezeigt und erklärt, sondern auch gemeinsam getanzt und gespielt. Wir haben Kultur gelebt. Es war ein liebevolles Miteinander.
Die indianischen Gäste aus den USA sprachen kein deutsch und die jüngeren Kinder hatten noch keinen Englischunterricht. Eine Verständigung war trotzdem möglich. Sowohl die Kinder als auch die Gäste aus Amerika hatten viel Spaß beim Erlernen der ersten Worte in der jeweils anderen Sprache. Wenn ich mich mit Native Americans unterhalte, die Deutschland bereist haben, dann fallen noch immer Wörter wie "Guten Tag" und "Dankeschön". Während der gemeinsamen Bastelaktionen hatten die Kinder ihnen gezeigt, welche Gegenstände mit "Tacker" und "Klebeband" gemeint sind. Jugendliche benutzten ihre englischen Sprachkenntnisse und waren sichtbar stolz darauf, dass sie verstanden wurden. Wörter aus den verschiedenen Stammessprachen wurden auch verwendet. Das Erlernen einiger Gesten aus der Zeichensprache der Stammesnationen, die früher den Bisonherden folgten, war ebenfalls sehr beliebt. Inzwischen gibt es im Internet sogar Videos, in denen Vergleiche zwischen dieser Zeichensprache und der amerikanischen Gebärdensprache gezeigt werden.
In den Ferien-Zeltlagern und Tipi-Camps herrschte immer eine ganz besondere Atmosphäre. Oft haben wir abends am Lagerfeuer gesessen und es wurden Geschichten erzählt und Lieder gesungen. Noch bevor ich Native Americans in Deutschland kennenlernte, hatte ich mir ein eigenes Tipi genäht. Zum ersten Mal wurde es im Rahmen eines Jugendtheaterstücks aufgebaut. Ohne Erfahrung war dies kein einfaches Unterfangen. Zwischen dem Eingang und dem Boden befand sich eine größere Lücke, was nicht so schlimm war, weil mein Tipi über ein Innenzelt (Lining) verfügte. Aber es sah merkwürdig aus. Ich fühlte mich im Tipi so wohl, dass ich noch länger dort verweilte. Anschließend organisierte ich Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche. Ich erfuhr später, dass mehrere, der heute Erwachsenen, noch immer begeistert von ihrem "Tipi-Abenteuer" erzählen. Diese Erlebnisse zählen zu ihren liebgewonnenen Kindheitserinnerungen.
Im Laufe der Jahre hatte ich mehrmals die Möglichkeit, ein ganzes Tipi-Camp zu nutzen und so sammelte ich immer mehr Erfahrungen. Ich lernte, welches Feuerholz geeignet ist und wie die Rauchklappen zu stellen sind, damit die Luftzirkulation funktioniert. Den letzten Schliff erhielt meine Tipi-Aufbau-Kunst durch zwei Kiowas aus den USA, die mich neckten, weil mein Stangenkreuz so chaotisch aussah. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich zu einem späteren Zeitpunkt teilen möchte. Wir lachen heute noch darüber, denn der Neuaufbau des Tipis verlief nicht ganz nach Plan. In den kommenden Tagen boten wir Workshops für die Kinder an und anschließend übernachteten sie im Tipi. Zuvor wünschten die zwei indianischen Gäste ihnen eine gute Nacht.
Ich denke sehr gerne an diese Zeiten zurück und werde mich dafür einsetzen, dass solche Begegnungen in Zukunft wieder stattfinden können. Ich empfinde es auch als wichtig, dass indianische Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bekommen, nach Deutschland zu reisen. Wir haben uns schon oft darüber unterhalten. Viele Native Americans berichten, dass ihnen in Deutschland sehr viel Respekt entgegengebracht wurde. Eine solche Erfahrung würde deshalb das Selbstwertgefühl indianischer Kinder und Jugendlicher stärken. Doch im Vorfeld ist es sehr wichtig, dass wir gemeinsam ein Umfeld schaffen, in dem sie sich bei ihrem Besuch wohl fühlen.
In der Vergangenheit wurden wir sehr oft mit stereotypen Vorstellungen konfrontiert
Leider waren nicht alle Erfahrungen positiv. Während der gesamten Zeit sind wir nahezu ständig mit Klischees und falschen Vorstellungen konfrontiert worden. Viele peinliche Situationen sind dadurch entstanden. Ich empfinde es als beschämend, wenn sich erwachsene Deutsche vor einem Gast aus den USA mit der Hand auf den Mund schlagen, um das Geräusch nachzumachen, welches erschreckenderweise als "Indianergeheul" bezeichnet wird. Dies ist immer wieder bei öffentlichen Veranstaltungen geschehen. Wir haben den Kindern spielerisch erklärt, dass indianische Frauen durch ein schnelles Auf und Ab der Zunge im Mund ein Trällern erzeugen, das ein wenig so klingt. Frauen aus der Türkei und aus arabischen Ländern tun dies auch. Wir erhielten jedes Mal ein Lächeln und ein bestätigendes Nicken, wenn Frauen aus diesen Ländern anwesend waren. Bei den Native Americans wird das Trällern als "Lulu" bezeichnet und niemand schlägt sich mit der Hand auf den Mund, um es zu erzeugen.
Wenn pädagogische Einrichtungen früher ein "Indianerprojekt" durchgeführt haben, dann kam es oft vor, dass mit den Kindern Tänze einstudiert wurden, um sie beim Sommerfest zu präsentieren. Diese waren in der Regel frei erfunden, wurden jedoch als "Indianertänze" bezeichnet. Die Darstellungen ähnelten sich:
In der Mitte des Platzes oder der Bühne stand ein völlig verkitschter Totempfahl. (Anmerkung: Diese werden in Deutschland fälschlicherweise noch immer als "Marterpfahl" bezeichnet.) Sowohl Kinder als auch Erwachsene hatten sich als "Indianer" verkleidet. Sie trugen entweder die gängigen Faschingskostüme oder selbstgemachte "Indianerkleidung", die in der Regel aus alten, am Rand in Fransen geschnittenen T-Shirts oder Jutesäcken hergestellt wurde. Ein Stirnband oder eine ganze "Federhaube" mit kitschig bunten Federn war und ist ein fester Bestandteil dieser Verkleidungen. Oft bestand das Stirnband aus Wellpappe, weil es für die Kinder einfach war, die Federn hineinzustecken. Damit sie während der Vorführung etwas in den Händen halten konnten, wurden vorher häufig noch Tomahawks aus Pappe gebastelt. So ausgestattet tanzten sie dann gemeinsam um den "Marterpfahl" herum. Meistens war dabei das "Indianergeheul" zu hören. Oder es ertönte eine ganze Reihe von Grunzlauten: "Uga uga - uga uga". Darüber hinaus wurden Lieder mit Texten gesungen, die stereotype Vorstellungen noch weiter zementieren. Dies hier ist nur ein Beispiel von vielen:
"Indianer heißen wir, ahu, ahu, ahu! Aus fernen Landen kommen wir, ahu, ahu, ahu! Wir zeigen euch mit Schild und Lanz' den wilden Indianertanz, ahu ... "
Es ist sehr wichtig zu reflektieren, was den Kindern vermittelt wird, wenn "wilde Indianertänze" mit "Kriegsbemalung" und "Indianergeheul" um einen "Marterpfahl" herum als Ehrung der indianischen Nationen Nordamerikas bezeichnet werden.